#2 Was ist SOLA scriptura?
Wenn wir den Begriff Sola scriptura hören (Die Schrift Allein) dann kommen bei jedem Fragen auf. Heißt es das nur allein die Schrift (also unsere überlieferte Bibel, das Alte Testament und das Neue Testament) zählt? Bedeutet es, das wir alles was wir im Leben erklären und verstehen wollen, nur in der Bibel finden können? Und das wir alle anderen Quellen nicht beachten?
Das sind gute Fragen, und deswegen teile ich dies alles in 2 Bereiche auf:
- Was ist Sola scriptura?
- Was ist Sola scriptura nicht?
In diesem Beitrag geht es zuerst darum, was es IST. (Hier findet ihr den Beitrag darüber, was Sola scriptura nicht ist.)
Die biblische Dogmatik von Wayne Grudem teilt die Wesensmerkmale der Heiligen Schrift auf 4 Bereiche auf:
A. Autorität der Schrift
B. Die Klarheit der Schrift
C. Die Notwendigkeit der Schrift
D. Die Genugsamkeit der Schrift
Da sich eine Dogmatik sehr gut eignet, einen Überblick zu verschaffen, habe ich sie auch als Grundlage für dieses Kapitel genommen.
Zudem werde ich hier nicht groß auf die Kapitel eingehen, die für die meisten Christen klar sind. Denn ich vermute stark, dass in den meisten christlichen Gemeinden diese Punkte klar sind. Trotzdem weicht man in einigen der Punkte ziemlich ab. Meistens geprägt durch ein Verständnis, das aus einer Tradition oder einer Gegenbewegung entstand.
A. Die Autorität der Schrift
Ohne lange bei dem Punkt zu bleiben, können wir selbst aus der Bibel einige Stellen entnehmen, die lehren, dass die Schrift diese Autorität beansprucht.
- Die Bibel spricht oft von „So spricht der HERR“
Viele dieser Stellen sind zu finden und behaupten, dass hier direkt Gottes Worte an uns Menschen gerichtet sind.
- Sie sind von Gott „eingegeben“
Der ultimative Abschnitt aus 2.Tim 3,14-17 sagt Folgendes:
Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und was dir zur Gewissheit geworden ist, da du weißt, von wem du es gelernt hast, 15 und weil du von Kindheit an die heiligen Schriften kennst, welche die Kraft haben, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist. 16 Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, 17 damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet.
Hier schreibt Paulus an Timotheus und sagt ihm, dass die Schriften des AT (zu dieser Zeit war das NT ja noch nicht da 😊) von Gott eingegeben worden sind. Gott ist sozusagen verantwortlich für den Inhalt und steht auch zu ihm. Denn wenn wir im AT die Mosebücher lesen, sehen wir Gottes Forderungen deutlich geschrieben. Und genau diese Forderungen werden auch an Israel in den späteren Jahren gestellt. Gott hält Israel verantwortlich, wenn sie die Gebote nicht befolgen.
Zum Beispiel an David richtet Gott diese Worte in 1.Könige 9,6-7:
Wenn ihr euch aber von mir abwendet, ihr und eure Söhne, und meine Gebote und meine Satzungen, die ich euch vorgelegt habe, nicht befolgt, sondern hingeht und anderen Göttern dient und sie anbetet, 7 so werde ich Israel ausrotten aus dem Land, das ich ihnen gegeben habe; und das Haus, das ich meinem Namen geheiligt habe, werde ich von meinem Angesicht verwerfen, und Israel soll zum Sprichwort und zum Spott werden unter allen Völkern!
Gott gibt also seinem Wort diese Autorität.
Ich denke, wir müssen uns nicht lange an diesem Punkt aufhalten und gehen daher zum Zweiten:
B. Die Klarheit der Schrift
Ist die Bibel leicht zu lesen? Ja und Nein. Kinder können es verstehen und zum Glauben kommen. Und Doktoren der Theologie können ihr Leben damit verbringen, den Römerbrief zu studieren, und schöpfen ihn doch nicht aus.
Heißt es daher, dass es zu kompliziert ist?
Auch hier finden wir im AT den Befehl, dass den Kindern die Gebote Gottes erklärt und eingeschärft werden mussten (5.Mose 6,6-7)
Oder in den Psalmen seht dass sie den Unverständigen weise machen (Psalm 19,8).
Natürlich ist sie nicht an allen Stellen gleich einfach zu lesen und zu verstehen. Der Leitsatz in der Reformation kann auch heute noch angewandt werden: Die hellen Stellen der Schrift legen die Dunklen aus.
Natürlich ist die Offenbarung nicht ganz so einfach zu verstehen wie die Psalmen oder Evangelien. Und trotzdem ist sie klar verständlich.
Warum kommen dann diese Unterschiede? Oft sind es diese einfachen Dinge, die man nicht berücksichtigt:
Den Text zu lesen, die Wörter zu verstehen (Grammatik) und es richtig auszulegen (Exegese).
Die Bereiche der Hermeneutik (Die Auslegungsmethoden) und der Exegese (Vorgang der Auslegung des Textes) befassen sich stark damit.
Aber nicht jeder hat, bevor er die Bibel liest, ein Bibelstudium absolviert. Das ist auch niemals die Anforderung. Sonst landen wir wieder in der vorreformatorischen Zeit, wo nur die Gelehrten die Bibel lesen durften, weil nur sie sie „verstanden“.
Ich verurteile keinen der Gelehrten, sondern bin überaus dankbar für ihre Arbeit an Gottes Wort und deren Auslegung. Ohne die vielen Bücher und Predigten vieler Theologen wäre mir die Bibel niemals so geöffnet worden.
Aber trotzdem ist genau die Klarheit der Schrift ein Punkt, der in vielen Gemeinden in der Praxis nicht genau ausgelebt wird. Es wird das, was klar steht, nicht klar gelassen, sondern vieles reininterpretiert, um die Traditionen oder Gebräuche zu stützen. Genau diese Punkte werde ich in den weiteren Beiträgen ansprechen und anhand der Bibel anschauen, ob es sich so verhält wie manchmal ausgelegt wird.
C. Die Notwendigkeit der Schrift
Ist die Bibel Notwendig?
Ja klar, sonst erfahren wir ja nichts vom Evangelium (Römer 10,14-17)
In ihr erfahren wir Gottes Willen für unser Leben (nicht den geheimen, unbekannten Willen Gottes, der so schwer ist zu finden: Wen heirate ich, welchen Beruf soll ich ergreifen…, sondern den Willen Gottes, den er uns klar mitteilt), wie zum Beispiel:
- Heiligung und der Unzucht enthalten (1.Thessalonicher 4,3)
- In allem dankbar sein (1.Thessalonicher 5,18)
- Gute Werke tun (1.Petrus 2,15)
Auch hier wollen wir das damit belassen und zum nächsten Punkt übergehen:
D. Die Genugsamkeit der Schrift
Was heißt es? Wir nehmen wieder den Abschnitt aus 2.Tim Kapitel 3 :
Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und was dir zur Gewissheit geworden ist, da du weißt, von wem du es gelernt hast, 15 und weil du von Kindheit an die heiligen Schriften kennst, welche die Kraft haben, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist. 16 Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, 17 damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet.
Hier die Auflistung der einzelnen Punkte:
- Die Schrift hat Kraft, dich zur Errettung weise zu machen.
- Sie ist nützlich zur Belehrung (unterrichtet in der Wahrheit).
- Sie ist nützlich zur Überführung (deckt Schuld auf).
- Sie ist nützlich zur Zurechtweisung (bringt auf den richtigen Weg).
- Sie ist nützlich zur Erziehung in der Gerechtigkeit (Erziehung zu einem Leben nach Gottes Willen).
- Sie dient dazu, den Menschen ganz zuzubereiten.
- Sie dient dazu, den Menschen zu jedem guten Werk völlig auszurüsten.
Das ist schon mal eine Menge. Und die NGÜ fasst die letzten zwei Punkte so schön zusammen:
So ist also der, der Gott gehört und ihm dient, mit Hilfe der Schrift allen Anforderungen gewachsen; er ist durch sie dafür ausgerüstet, alles zu tun, was gut und richtig ist
Also hier behauptet der Apostel Paulus, dass der Christ anhand der Schrift allen Anforderungen gewachsen ist. Er ist mit ihr dazu in der Lage, alles zu tun, was gut tut, richtig ist.
Benötigen wir daher keine externen Infos, Meinungen oder Ratschläge?
Was für unser Heil und unsere Errettung wichtig ist, ist alles in der Schrift vorhanden. Wir benötigen keine zusätzlichen Gottesworte, Offenbarungen oder Ähnliches.
Das heißt, wir brauchen (und dürfen) nichts hinzufügen oder wegnehmen.
Aber was ist mit den Fragen, die wir uns alltäglich stellen?
- Wie sollen wir praktisch heilig leben?
- Darf ich das oder jenes?
- Ist dieses oder jenes Sünde?
- Wie verhalte ich mich in einer gewissen Kultur?
Auch hier gibt es Prinzipien in der Bibel, die wir anwenden können. Und genau hier gehen wir oft fehl.
Hier möchte ich etwas mehr aus der Dogmatik zitieren:
„In Bezug auf die christliche Lebensführung erinnert uns die Genugsamkeit der Schrift daran, dass nichts Sünde ist, was nicht von der Bibel entweder explizit oder implizit verboten wird.“ (Grudem, 2013, S.145)
Also wir sollten nichts wegnehmen oder hinzufügen. Keine Verbote hinzufügen, weil wir dadurch zeigen, dass Gott es nicht bedacht hätte. Es gibt Momente im Leben, wo situationsbedingt Verbote/Gebote notwendig sind. Aber sie für alle Christen der Welt oder der Denomination aufzulegen und als Maßstab der Heiligkeit zu setzen, ist nicht vertretbar (hier werde ich in einem späteren Beitrag auf das Argument eingehen, das der Gemeinde die Erlaubnis erteilt wurde, Regeln aufzustellen, und dass solche Regeln auch von Gott bestätigt werden).
In der Fußnote zu dieser Frage schreibt Grudem:
Selbstverständlich können menschliche Gesellschaften wie Nationen, Kirchen, Familien usw. Regeln für die Abwicklung ihrer eigenen Angelegenheiten erstellen (wie: „Kinder in dieser Familie dürfen an Abenden während der Woche nicht fernsehen.“). Keine derartige Regel kann in der Bibel gefunden werden, und es ist auch nicht wahrscheinlich, dass solch eine Regel durch Implikation aus den Prinzipien der Bibel abgeleitet werden könnte. Dennoch wird der Gehorsam diesen Regeln gegenüber von Gott gefordert, weil die Schrift uns gebietet, uns den der Genug herrschenden Obrigkeiten zu unterwerfen (Röm 13,1-7; 1. Petr 2,13-3,6; u. a.). Eine Leugnung der Genugsamkeit der Schrift träte nur dann ein, wenn jemand versuchte, der Regel eine verallgemeinerte Anwendung außerhalb der Situation, innerhalb derer sie angemessenerweise funktionieren sollte, zu geben (,,kein Mitglied unserer Gemeinde sollte an Abenden während er Woche fernsehen“, oder „kein Christ sollte an Abenden während der Woche fernsehen“). In solch einem Fall ist es nicht zu einer Verhaltensregel in einer speziellen Situation geworden, sondern zu einem moralischen Gebot, das anscheinend für alle Christen, unabhängig von ihrer Situation, gelten soll. Wir haben nicht die Freiheit, solche Regeln zur Bibel hinzuzufügen und zu versuchen, sie allen Gläubigen aufzuerlegen, über die sich unser Einfluss erstreckt; auch die Kirche als Ganze kann nicht versuchen, dies zu tun. (Hier wären römische Katholiken wiederum nicht einverstanden und würden sagen, dass Gott der Kirche die Autorität gegeben habe, allen Mitgliedern der Kirche zusätzlich zur Schrift weitere moralische Regeln aufzuerlegen.) (Grudem, 2013, S.145)
Also verkürzt:
- Menschliche Gesellschaften können Regeln erstellen.
- Wir sollen uns der Obrigkeit unterordnen, wenn es Regeln gibt.
- (Verhaltens-)Regeln dürfen von Kirchen nicht verallgemeinert und als moralisches Gebot aufgestellt werden
- Die Gemeinde hat nicht die Freiheit, solche Regeln zur Bibel hinzuzufügen und denen aufzulegen, über die sich deren Einfluss erstreckt.
Zu was führt es denn sonst?
- Das Leben wird aus einem Forschen in der Bibel zu einem Befolgen dieser Regeln.
- Man kämpft gegen „Sünden“, die keine Sünden sind, und hat ein schlechtes Gewissen, weil man immer wieder fällt.
- Ein kompromissloses oder hartes Beharren auf diese Regeln entsteht von denen, die sie tatsächlich befolgen oder erstellt haben.
- Den ungläubigen Menschen erscheint dieses Regelwerk und Lebensmuster als ein Zusatz, der zu erfüllen ist, wenn sie Christen werden.
Ich muss sagen, dass es so ist. Meiner Erfahrung nach, wird hier praktisch die Genugsamkeit der Schrift verletzt, wenn solch ein Regelwerk aufgestellt wird.
Vor allem ist es traurig, dass ultrakonservative Kreise (nach Jung & Derksen, 2020, S.279), in dem Punkt der Autorität der Regelerstellung die gleiche Meinung wie die römisch katholische Kirche haben. Und wir haben in der Kirchengeschichte gesehen, wohin es führt.
Natürlich begründen es die jeweiligen Gemeinden mit Bibelstellen aus Matthäus 16,19 und 18,18. Und diese Begründungen scheint auch eine gewisse Richtigkeit zu haben. Warum ich dieser Begründung aber nicht zustimme behandle ich in dem Beitrag „‚#10 Darf eine Gemeinde Regeln aufstellen?„.
Wir alle sind fehlerhaft und voreingenommen. Trotzdem sollte es uns nicht hindern, unsere Meinung zu überprüfen und nicht starr an etwas zu halten, was nicht biblisch ist. Ist wirklich die Bibel das Fundament für mein Leben und ist sie auch Genugsam?
Simon
Quellenangaben:
[1] Grudem, W. A. (2013). Biblische Dogmatik: eine Einführung in die systematische Theologie.
[2] Jung, F. & Derksen, H. (2020). Angekommen?!: fünfzig Jahre freikirchliche Russlanddeutsche in Deutschland.