Herzlich willkommen zu der Auslegungsreihe von Römer 14. Wir befinden uns hier beim vierten Beitrag der Reihe. Zu den vorherigen Beiträgen kommst du hier:
#9.0 Römer 14 und die Gewissensfrage
#9.1 Römer 14 und die Gewissensfrage – Vers 1
#9.2 Römer 14 und die Gewissensfrage – Vers 2 und Schweinefleisch
In diesem Beitrag werden wir genauer auf das Verachten und das Richten eingehen. Ausserdem schauen wir uns in Vers 4 an, welche Befugnisse die Gemeindeglieder zueinander haben.
Es ist ein sehr spannendes Thema und deswegen sei gespannt.
Verachteten und richten
Wenn wir jetzt zu Vers 3 kommen, werden wir nochmal das erwähnen, was schon vorher gesagt wurde:
(3) Wer isst, verachte den nicht, der nicht isst; und wer nicht isst, richte den nicht, der isst; denn Gott hat ihn angenommen.
Verachte nicht
Diese Worte gehen zuerst an den starken Bruder. Allgemein geht die größte Last hier an den starken Bruder. Aber davon später. Hier sagt Paulus zuerst, das der, der die Erkenntnis hat, das Fleisch essen kein Problem ist, keinen seiner Geschwister verachten darf, der damit Probleme hat. Also, er darf nicht auf ihn runtersehen oder ihn als nicht so erwachsen im Glauben sehen. Er darf es einfach nicht! Es ist eine Aufforderung: Verachte nicht!
Das ist auch überall wichtig, wo innerlich Verachtung auf andere Christliche Gruppen aufkommt, die manche Dinge tun oder an etwas halten, was einem veraltet oder nicht so wichtig erscheint. Ich bin mir sicher, dass es oft daran liegt, das man nicht mit den Personen gesprochen, mit ihren Schuhen gelaufen und nicht mit denen Zeit verbracht hat. Oft liegt es daran, dass man keine Empathie mit diesen Menschen oder diesen Gruppen hat. Den viele der Begründungen sind tatsächlich nachvollziehbar. Auch wenn sie nicht notwendig sind, kann man verstehen, warum so gehandelt wird. Und oft hat es kulturelle oder geschichtliche Gründe, die nicht einfach so beiseitegelegt werden können.
Deswegen zuerst die Aufforderung: Du sollst diese Geschwister nicht verachten.
Richte nicht
Ging es vorher an den Starken Bruder, so geht es nun mit dem gleichen Imperativ an die schwachen Geschwister, dass sie die anderen nicht richten dürfen,
Ich persönlich finde das Wort „richten“ härter als das „Verachten“. Denn mit dem „Richten“ urteile ich über den anderen in gewisser weise final. Ich sage mir innerlich: „Er ist nicht so geistlich (wie ich)!“ Im schlimmsten Fall spreche ich dem anderen den Glauben ab, oder sehe ihn als Christen, der oberflächlich, locker oder weltlich ist. „Der Schwache macht sich eben durch Kritik gerne stark“ (H. Stute, Der Römerbrief entschlüsselt, S. 201)
Und das ist im Gemeindekontext extrem schädlich. Weil immer wieder vorbehalte vorhanden sind. Ich glaube jeder kann genügend Begebenheiten aufzählen, wo das „Richten“ auf verschiedenster Weise verletzend war. Durch ein Ignorieren, kritisieren, falsches ermahnen usw.
Und das führt dann dazu, dass man als betroffener diese Person irgendwann meiden möchte. Man bekommt immer ein beklommenes Gefühl, wenn die Richtende Person in der Nähe ist. Oft wartet man schon auf einen Kommentar und wird leider zu oft bestätigt, das man wieder kritisiert wird. Ich kann es nur aus eigener Erfahrung sagen, das wenn man wegen wirklich Belanglosen Dingen kritisiert wird, irgendwann eine innere Erwartungshaltung hat, dass es nicht lange dauert, bis wieder Kritik kommt. Das ist ungemein bedrückend und erstickt jede offene liebevolle Gemeinschaft, die es unter Christen geben sollte.
Der Kommentator Schnabel erwähnt zu dem Richten (von mir fett gemacht):
Das Verb κρι’νω (s. zu 2,1) bedeutet hier nicht „unterscheiden“ (so in V. 5), „sich entscheiden, sich vornehmen“ (so in V. 13b) oder „urteilen“ (1Kor 10,15; 11,13; 2Kor 5,14), sondern in malam partem „aburteilen, kritisieren, schlechtmachen, verdammen“ (wie in V. 4.10.13a.22; vgl. 2,1.3; 1Kor 4,5; 10,29; Kol 2,16).63 Die Christen, denen Paulus in V. 1 einen schwachen Glauben attestiert, sprechen den Christen, die alles essen, mindestens die Legitimität ihrer Freiheit ab, alles zu essen, offensichtlich mit dem Argument, dass Gott ihr Verhalten als inakzeptabel beurteilt (vgl. V. 4).
(Schnabel, Römer S. 743)
Also dieser Bruder spricht dem anderen die Freiheit ab: „Du darfst das nicht tun, da es Gott nicht gefällt und es Sünde ist!“
Den Gott hat ihn angenommen
Doch den Widerspruch, den Paulus nun aufführt ist folgender: Gott hat diesen Bruder schon angenommen.
Also der Bruder, der kein Fleisch isst und den richtet, der Fleisch isst, stellt sich mit seinem Urteil über das Urteil Gottes. Denn Gott hat diesen Fleisch essenden Bruder auch angenommen, daher darf und kann der Bruder, der kein Fleisch isst, keine Verurteilung aussprechen.
Um es nochmal deutlicher zu bekräftigen, erklärt Paulus in Vers 4 anhand eines Beispiels, wie es sich wirklich verhält.
Vers 4: Gott wird ihn aufrecht erhalten!
Hier geht der Gedanke von Vers 3 weiter. Es handelt sich noch immer um den Bruder, der richtet. Und deswegen sagt Paulus:
(4) Wer bist du, dass du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn. Er wird aber aufrecht gehalten werden; denn Gott vermag ihn aufrecht zu halten.
Wer bist du…
Das ist schon ein starkes Wort. Denn hier offenbart Paulus, wie weit man mit dem richten eigentlich greift. Das ist nicht eine persönliche Meinung die man dem anderen so sagen darf, sondern:
…dass du den Hausknecht des anderen richtest?
Es geht hier um ein Einmischen in die Verhältnisse eines anderen.
Nur zur Wiederholung: Das ist im Kontext der Gemeinde. Nicht, wenn einer aus einer anderen Gemeinde (Korinth oder Philippi, oder eine andere) nach Rom kommt und von den Geschwistern gerichtet wird. Nein, es handelt sich um Geschwister in der SELBEN Gemeinde. Und beide haben den gleichen Ältesten. Und Paulus sagt nicht: „Geh zum Ältesten und lasse ihn entscheiden was zu machen ist!“ Nein, Paulus sagt, das es nicht deine Sache ist, den zu kritisieren oder zu ermahnen.
Im ersten Jahrhundert war es üblich, Sklaven (in der Schlachter 2000 wird es meistens mit Knecht übersetzt) zu haben. Und dieser Sklave gehörten einem Herrn. Und dieser Sklave durfte nicht von einem anderen kritisiert oder bestraft werden, außer von seinem eigenen Herrn. Ein Fremder hatte nicht das Recht dazu. Und das haben die Römerbrief-Empfänger auch verstanden, dass es nicht geht. Man hatte einfach nicht die Rechte dazu.
Und das bezieht Paulus nun auf das Richten:
Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn
Das heißt, nur der eigene Herr entscheidet was mit diesem Sklaven getan wird. Dieser Sklave ist seinem Herrn verantwortlich.
Und wir sind Knechte und Sklaven Christi. Und der, der uns richtet ist allein Christus.
Vielleicht kommt jetzt wieder der Einwand, dass man dann ja gar nicht ermahnen oder urteilen darf. Ich erinnere nur noch einmal, dass es hier nicht um Gebote oder Verbote oder Moralisch eindeutig definierte Sachen geht. Es geht hier um Dinge, die nicht in der Bibel zu finden sind und die auch durch eine erste Ableitung nicht als Sünde betrachtet, werden können.
Als Beispiel die Pornographie. Pornovideos anzuschauen wird in der Bibel nie erwähnt. Aber das Prinzip, das hinter dem Gebot: „Fliehe der Unzucht“ steht, betrifft jede Art von Unzucht. Auch die, Unzucht zu betrachten und sich daran zu erfreuen – also sich daran zu erfreuen, wie andere es tun und es damit gutzuheißen. Es gäbe bestimmt einige, die Pornographie auch als ein Gewissensding betrachten, aber die überwiegende Christenheit sieht es als Sünde. Auch die säkulare Gesellschaft verweist immer wieder auf die Gefahren, die dadurch entstehen und was für Schaden es für einen Zuschauer bewirkt. Sei es für die Ehe, oder allgemein was für ein Frauen- oder Männerbild man dadurch erhält.
Jedenfalls ist Pornographie nicht ein Gewissens-Thema. Aber Dinge wie Fleischkonsum (obwohl es wie ich oben gezeigt habe, für manche ein essenzielles Thema war), bestimmte Kleidungsstile, Schmuck, Alkohol oder andere Dinge.
Und daher sagt Paulus ganz deutlich:
Er wird aber aufrecht gehalten werden; denn Gott vermag ihn aufrecht zu halten.
Dieser Bruder, der Fleisch isst, wird von Gott aufrecht gehalten. Denn, ist es nicht manchmal der Wunsch jedes Menschen, das diese Menschen, die sich so etwas erlauben – worüber man überzeugt ist, das es Sünde ist – das diese Menschen doch eines Tages von Gott zurechtgewiesen werden. Man wünscht sich ein Gericht oder Urteil. Den man sagt ja: „Was du tust, gefällt Gott nicht. Du sündigst. Und Gott wird Sünde nicht ungestraft lassen!“. Wie die Strafe aussehen könnte, wird auf verschiedenster wiese beschrieben und angedroht:
- Du wirst keine Kinder erhalten
- Deine Kinder werden behindert geboren und das wird die Strafe Gottes sein
- Du wirst Probleme im Leben haben, die ich dir gerne ersparen wollte
- Du wirst in Sünde fallen und Gott wird dir dann zeigen, dass es falsch war
- Deine Frau wird Fremdgehen
- Usw.
Sind das gute Wünsche? Das sind Drohungen oder Warnungen, die ohne Bezug und ohne Berechtigung gesagt werden.
Habe ich sie schon gehört? Ja.
Haben sie mir gutgetan? Nein.
Wurden dieses Drohungen biblisch begründet? Nein
Was hat es bewirkt? Vertrauensverlust, Angst und Trauer.
Lieber Leser, der du das hier liest: Dadurch, dass du deine Geschwister in dieser Art ermahnt hast, hast du gesündigt. Du hast dich gegen das Gebot „nicht zu richten“ gestellt und dich über Gottes Meinung gesetzt. Auch wenn du es gut gemeint hast, war es falsch. Und ich kann dir sagen, dass sehr viele Menschen dadurch verletzt wurden und werden.
Und dass, was Paulus hier noch weiter erwähnt, ist noch deutlicher: Gott wird diesen Bruder aufrecht halten, denn Gott kann es. Er wird nicht fallen, sondern Gott wird ihn leiten und wenn er auch nicht in allem richtig gehandelt hat, so wird er ihn führen, wenn seine Bedenken aufrichtig und ehrlich waren.
Es ist Gottes Sache mit diesem Bruder zurechtzukommen.
Und nicht deine.
Und auch nicht die Sache der Gemeinde, Regeln und Gebote aufzustellen, damit es geregelt wird.
Das ist nicht meine Meinung, sondern die Meinung von Paulus und des Römerbriefes. Und daher Gottes Meinung. Ich habe viele Kommentatoren zu Römer 14 gelesen und gehört. Und bisher gehen alle konservativen und bibeltreuen Ausleger davon aus, das es ein Verstoß gegen diese Verordnung ist, wenn man richtet oder verurteilt oder sogar sein Richten in Form von Vorschriften und Regeln verfestigt.
Daher ist es mein großes Anliegen, das Römer 14 in allen Gemeinden gelebt wird. Nicht nur in den sehr konservativen Russlanddeutschen Gemeinden. Sondern in allen, wo das Problem vorherrscht. Den ein Missachten dieser Gebote bringt kein Segen in die Gemeinde und lässt sie nicht wachsten.
Ich wünsche sehr, das diese Beiträge zum Nachdenken und Umdenken anregen. Allgemein habe ich trotzdem wenig Hoffnung, das betroffenen Gemeinden sich offen und liebevoll diesen Fragen annehmen werden. Aber für die, die es betrifft, wünsche ich mit dieser Ausarbeitung eine Festigung in Gottes Wort. Überprüfe alles was ich schreibe und gebe mir gerne eine Rückmeldung. Ich freue mich darauf.
Der Beitrag zu den nächsten Versen findest du hier: #9.4 Römer 14 und die Gewissensfrage – Verse 5-13: Sei kein Anstoß
Liebe Grüße
Simon