In dem Beitrag 10.1 habe ich eine Definition von „Gemeinderegeln“ gegeben und einige ersten Gedanken dazu aufgeschrieben. Einer der erwähnten Begründungen, das eine Gemeinde die Erlaubnis hat, Verhaltensregeln zu erstellen, ist der Text aus Hebräer 13,17. Das wird in diesem Beitrag untersucht.
Wenn du auf die anderen Beiträge aus der Serie „#10 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen?“ gehen willst, findest du sie hier:
- #10.1 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Definition der Begriffe
- #10.2 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Gehorcht euren Leitern
- #10.3 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Die Gewissensfragen aus Römer 14
- #10.4 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Martyn Lloyd Jones über verpflichtende Regeln in Kirchen
- #10.5 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Aber alle haben doch zugestimmt!
- #10.6 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Haben Timotheus und Titus auch Verordnungen aufgestellt?
- #10.7 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Gibt Jesus der Gemeinde diese Vollmacht, oder nur den Aposteln?
- #10.8 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? Darf die Gemeinde nun keine Verordnungen erstellen?
- #10.9 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Eine Zusammenfassung
Der Bibeltext aus Hebräer 13,17
Nun möchte ich diesen Einwand hinzufügen, der verwendet wird, nämlich den aus Hebräer 13,17. Dort steht zuerst im Bibeltext:
Gehorcht euren Führern und fügt euch ihnen; denn sie wachen über eure Seelen als solche, die einmal Rechenschaft ablegen werden, damit sie das mit Freuden tun und nicht mit Seufzen; denn das wäre nicht gut für euch!
Hebräer 13,17
Dieser Bibelvers wird nun für folgendes Argument verwendet:
„Wenn nun >>Gehorcht den Leitern der Gemeinde!<< sich nur auf Dinge bezieht, die ganz ausdrücklich in der Bibel benannt werden, dann gilt nach der gleichen Logik: Kinder brauchen ihren Eltern nur darin zu gehorchen, was ganz ausdrücklich in der Bibel steht. Und Bürger brauchen dem Staat nicht zu gehorchen, mit Ausnahme dessen, was ganz ausdrücklich in der Bibel steht.“(Eben-Ezer, 2022, S.148)
Und:
Gott hat dem Staat die Autorität verleihen Gesetzte zu erstellen die nicht in der Bibel stehen und die Eltern haben auch die Autorität, Regeln für die Familie zu erstellen (vgl. Eben-Ezer, 2022, S.148f), deswegen „hat die Gemeinde ebenso die göttliche Autorität, zum geistlichen Wohl der Mitglieder Maßstäbe und Richtlinien zu setzten, die so nicht ausdrücklich in der Bibel stehen!“(Eben-Ezer, 2022, S.149)
Also lautet die Argumentation so: Weil eine Regierung die Autorität hat, Regeln zu erstellen, hat die Gemeinde genauso auch das recht Regeln zu erstellen.
Ich weiß, dass hier auch gesagt wird, dass es nur Regeln sein dürfen, die sich mit der Schrift decken. Und deswegen ist es so schwer, alles zu entwirren. Die Begründungen für die meisten Regeln sind nicht aus der Bibel klar erkennbar. Und dann werden, wenn man diese Regeln missachtet, Ungehorsam und Rebellion nachgesagt. Ist das ein biblischer Weg, Christen Gott wohlgefällig zu machen? Egal wo man anfangen würde: Entweder man muss sich der Regel fügen, weil die Gemeinde es erstellt hat, oder man rebelliert, oder man verlässt die Gemeinde.
Auch Römer 14 wird hier aufgeführt. Und dort steht:
1 Nehmt den Schwachen im Glauben an, ohne über Gewissensfragen zu streiten.
Römer 14, 1-4
2 Einer glaubt, alles essen zu dürfen; wer aber schwach ist, der isst Gemüse.
3 Wer isst, verachte den nicht, der nicht isst; und wer nicht isst, richte den nicht, der isst; denn Gott hat ihn angenommen.
4 Wer bist du, dass du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn. Er wird aber aufrecht gehalten werden; denn Gott vermag ihn aufrecht zu halten.
Aber diese Anwendung wird durch folgende Argumentation entkräftet:
In Römer 14,2-3 geht es um jüdische Speisegebote und nicht um sündiges Götzenopferfleisch. Bestimmtes Maß an Unterschiede lässt Gott zu, „vorausgesetzt, dass diese nicht durch Vernachlässigung von oder Ungehorsam gegen eine biblische Wahrheit hervorgerufen werden. Auch geht es nicht um Unterschiede, die durch das Ignorieren von Gemeindebeschlüsse entstehen“ (Eben-Ezer, 2022, S.163)
Also laut des Buches bezieht sich die Gewissensfreiheit in Römer 14 nicht auf die Beschlüsse der Gemeindeordnung.
Daraus folgt: Wenn eine Gemeinde beschließt, dass ein Pferdeschwanz weltlich ist, so ist das Tragen eines Pferdeschwanzes keine Gewissensangelegenheit, sondern eine Rebellion gegenüber den Gemeindebeschlüssen und daher eine Rebellion gegenüber einer Gott gegebenen Autorität.
Und das ist nicht einfach so erfunden, sondern das ist die Praxis in einigen Gemeinden. Falls jemand das verneinen möchte, so frage ich: „Düften Schwestern in jeder der Gemeinden mit einem Pferdeschwanz eine Kinderstunde leiten, oder im Chor singen?“ Ich weiß, dass sie es nicht überall dürfen. (Natürlich ist Rebellion nicht immer das passende Wort, denn es wird je nach Gemeinde unterschiedlich bewertet. Aber mir geht es nicht um den Pferdeschwanz an sich, sondern um das Prinzip vom Aufstellen von Verhaltensregeln. Und da könnte man anstelle des Pferdeschwanzes auch andere Dinge einsetzen, die Gewissensangelegenheiten sind).
Wie kann man solchen Schwestern helfen, die keinen Dienst ausüben dürfen, weil sie einen Pferdeschwanz tragen und daher „ungehorsam“ oder „unordentlich“ sind?
Es fällt mir tatsächlich schwer, diese Worte zu schreiben, aber es gibt in der Literatur Begriffe für diese Art von Anwendung des Bibeltextes:
Missbrauch der Bibel
Wenn Bibelstellen nicht so ausgelegt werden, wie es der Kontext verlangt, und dann auf Situationen angewandt werden, die damit kaum was zu tun haben, so wird die Bibel missbraucht oder als Waffe angewandt. Oft geschieht das subtil oder unbewusst, weil es schon immer so üblich war, sodass man es nicht anders weiß.
Da der Vers aus Heb 13,17 leider ein vielfach missbrauchter Vers ist, möchte ich aus dem Buch „Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch“ dazu zitieren:
Nun, zum einen beziehen sich diese Verse sicher nur auf solche Leiterpersönlichkeiten, die sich zunächst als Diener erwiesen haben, d. h. als solche Menschen, die über die Seelen“ ihrer Mitchristen wachen. Zum Zweiten bedeutet das im Griechischen an dieser Stelle benutzte Wort für gehorchen“ (peithomai) keine durch Zwang oder Dekret verordnete Unterordnung, sondern ein vertrauensvolles Gehorchen gegenüber einem Menschen, der sich dieses Vertrauen aufgrund seines Charakters verdient hat. (Blue, 2011, S.35)
Will ich einen Leiter in der Gemeinde, dem ich mich anvertrauen kann, oder einen, dem ich gezwungen bin, mich anzuvertrauen und der es von mir fordert? Ich denke, der erstgenannte Leiter ist das Ideal.
Das Thema: „Wie weit muss ich meinem Ältesten gehorchen?“ werde ich in einem weiteren Beitrag angehen. Es ist ein absolut wichtiges Thema. Ein guter Ältester ist ein großer Segen für eine Gemeinde. Und diesem unterordnet man sich sehr gerne. Was ist aber, wenn er falsch handelt? Oder seine Autorität missbraucht? Wie habe ich dann zu handeln? Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen, und daher möchte ich auch das in einem weiteren Beitrag anschauen.
Aber wie weit sollte man dem Ältesten gehorchen? Das hier in ein paar Sätzen zu beschreiben wird schwer sein. Jedenfalls haben Älteste zurecht einen besonderen Schutz erhalten. Und eine Beschuldigung gegen einen Ältesten sollte wirklich begründet und biblisch sein. Ein Ältester ist nicht ein Übermensch ohne Fehler oder einer, der Heiliger ist als alle anderen Gemeindemitglieder. Aber Er wurde von Gott in dieses Amt gesetzt und hat diese Autorität, die sonst kein anderer aus der Gemeinde hat.
Aber wie weit geht diese Autorität? John MacArthur sagt in einer Frage zu ihm eine sehr schöne Antwort. Zu finden ist diese Frage hier. Nun die Übersetzung dazu (und von mir rot und grün formatiert):
Heather fragt:
Eine Frage, mit der ich mich schwer tue, ist, inwieweit ein Mitglied einer Kirche verpflichtet ist, seinem Pastor zu gehorchen. Wie viel Autorität hat ein Pastor im Leben seiner Gemeindemitglieder?
MacArthur antwortet:
Keine Autorität.
Ich habe keine Autorität in dieser Kirche, persönlich.
Meine Erfahrung gibt mir keine Autorität.
Mein Wissen gibt mir keine Autorität.
Meine Ausbildung gibt mir keine Autorität.
Ich habe keine Autorität.
Meine Position gibt mir keine Autorität.
Mein Titel gibt mir keine Autorität.
Deshalb mag ich Titel nicht. Nur das Wort Gottes hat Autorität.
Christus ist das Haupt der Kirche und er vermittelt seine Herrschaft in der Kirche durch sein Wort. Ich habe keine Autorität. Ich habe keine Autorität über die Schrift hinaus. Ich kann niemals über das hinausgehen, was geschrieben steht – 1. Korinther 4:6. Das zu tun bedeutet, arrogant zu werden und sich selbst als überlegen zu betrachten.
Ich habe nichts zu sagen, das irgendeine Forderung an euch stellt, wenn es nicht aus dem Wort Gottes stammt. Ihr sprecht wahrscheinlich aus einer Erfahrung heraus, in der ihr das Gefühl hattet, dass eine ungebührliche Autorität von einem Pastor über euch oder jemanden, den ihr kennt, ausgeübt wurde.
Wir müssen daran erinnert werden, dass wir als Pastoren, obwohl der Herr uns erhoben und uns diese Verantwortung gegeben hat, keine persönliche Autorität besitzen.
Wenn ich euch sage, was Gott in seinem Wort gesagt hat, dann hat das Autorität – richtig? – aber ich kann nicht über das hinausgehen, was geschrieben steht. Ich kann euch nichts über euer Leben sagen. Ich kann euch Weisheit geben, wenn ihr fragt, aber vielleicht habe ich nicht mehr Weisheit als jemand anderes. In vielen, vielen Fragen würdet ihr mehr Weisheit von meiner geliebten Patricia bekommen als von mir. Aber sie steht nicht auf der Kanzel. Aber sie hat geistliche Einsicht und geistliche Weisheit, und wenn ihr um Rat oder Weisheit bittet, würde ihre in vielen Fällen meine übertreffen.
Also hat der Pastor in sich selbst keine Autorität. Hört, was Paulus sagt: „Wer ist Paulus? Wer ist Apollos? Wer ist Kephas? Wir sind nichts.“ Es ist alles von Christus. Es ist alles vom Heiligen Geist. Es ist alles von der Schrift.
Würde das ein Pastor in der Gemeinde verkünden? Wäre er so mutig, das so stehen zu lassen? Und der Schrift die Autorität geben. Und aus der Schrift die Gemeindeglieder zu überzeugen versuchen?
Auch den Pastoren meiner Ortgemeinde unterordne ich mich gerne, da ich weiß, dass sie von mir nur das Fordern werden, was sie aus der Schrift nehmen können. Und da unterordne ich mich sehr gerne. Ich werde nicht aufgefordert, nur lange Hosen zu tragen, und ermahnt, wenn ich eine Shorts trage. Aber er würde mich ermahnen, wenn er sehen würde, dass ich mein Leben falsch führe und nicht der Schrift entsprechend lebe. Und das tut wirklich gut. Da ist Unterordnung nicht eine Last, sondern eine Freude.
Auch wenn wir hier die Frage der Unterordnung der Leitung nur kurz angetastet haben, möchte ich diesen Beitrag hier abschließen. Der folgende Beitrag wird das Thema: „#10.3 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Die Gewissensfragen aus Römer 14“ haben und einige Gedanken zu Römer 14 und der Gewissenfrage stellen.
Ich freue mich, dass du bis hierher gekommen bist, und würde mich sehr darüber freuen, wenn dir meine Überlegungen etwas geholfen haben. Wenn du Fragen oder Einwände hast, kannst du die Kommentarfunktion nutzen, mich über die E-Mail anschreiben oder mich besuchen kommen. Die Adresse findest du im Impressum. Einen Kaffee und etwas zum Knabbern wirst du sicher erhalten.
Liebe Grüße
Simon
Quellen:
Bruderschaft der EvangeliumsChristen-Baptisten >>Eben-Ezer<< (2022). Ihm in allem wohlgefällig: Biblische Grundsätze eines für Gott abgesonderten Lebens
Grudem, W. A. (2013b). Biblische Dogmatik: eine Einführung in die systematische Theologie. (1.Auflage, 3.Druck) arche-medien
Blue, Ken (2011). Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch. Brunnen Verlag
Peters, B. (2019). Der Brief an die Römer. (1.Auflage) CLV-Verlag
Carson, D., Longman, T. and Garland, D. (2017) Matthew. Zondervan Academic. Available at: https://www.perlego.com/book/560682 (Accessed: 13 June 2024).
Jung, F. & Derksen, H. (2020). Angekommen?!: fünfzig Jahre freikirchliche Russlanddeutsche in Deutschland (1.Auflage 2020). Lichtzeichenverlag GmbH.
Wilkins Bob. What Could Peter Bind or Loose (Matthew 16:19)?.https://faithalone.org/blog/what-could-peter-bind-or-loose-matthew-1619/
Calvin, J. (1997). Unterricht in der christlichen Religion – Institutio Christianae Religionis (6. Aufl.). Neukirchener Verlag. https://www.calvin-institutio.de/display_page.php?elementId=61