In den Beitragen 10.1 und 10-2 habe ich eine Definition von „Gemeinderegeln“ gegeben und einige ersten Gedanken dazu aufgeschrieben.Außerdem habe ich den Text aus Hebräer 13,17 untersucht und einige Kommentare dazu aufgeführt.
Wenn du auf die anderen Beiträge aus der Serie „#10 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen?“ gehen willst, findest du sie hier:
- #10.1 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Definition der Begriffe
- #10.2 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Gehorcht euren Leitern
- #10.3 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Die Gewissensfragen aus Römer 14
- #10.4 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Martyn Lloyd Jones über verpflichtende Regeln in Kirchen
- #10.5 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Aber alle haben doch zugestimmt!
- #10.6 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Haben Timotheus und Titus auch Verordnungen aufgestellt?
- #10.7 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Gibt Jesus der Gemeinde diese Vollmacht, oder nur den Aposteln?
- #10.8 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? Darf die Gemeinde nun keine Verordnungen erstellen?
- #10.9 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Eine Zusammenfassung
Gewissensfragen in Römer 14:
Aber nun möchte ich zu dem wichtigsten Punkt kommen, Römer 14. In der Zeit, als ich mich mit dem Thema „Gemeinderegeln“ beschäftigte, suchte ich nach einer Erklärung in der Schrift. Es kann doch nicht sein, dass solche Themen wie verpflichtende Gemeinderegeln nicht auch früher relevant waren. Wenn die Bibel behauptet, für alle relevanten Fragen eine Antwort zu haben, dann doch auch für Gemeindethemen.
Zuerst dachte ich, dass der Galaterbrief und die darin behandelte Gesetzlichkeit eine Antwort bieten könnten. Aber dort geht es tatsächlich um die Lehre, dass Werke notwendig sind. Die Galater waren zumindest offen und haben es genau definiert: Die Beschneidung ist notwendig.
Doch das passte nich ganz zu der Thematik der Gemeinderegeln.
Als ich dann auf Römer 14 stieß, war es für mich die Erklärung zu dieser Thematik. Ich war unglaublich glücklich, das gefunden zu haben. Für mich ist dieses Kapitel noch immer die Norm, um dieses Thema anzugehen. In diesem Beitrag werde ich nur einen Bruchteil davon behandeln. Geplant ist jedenfalls eine ausführlichere Erklärung des 14. Kapitels.
Zuerst möchte ich die ersten 8 Verse aus Römer 14 aufführen und eine Definition von „Gewissensfragen“ geben.
1 Nehmt den Schwachen im Glauben an, ohne über Gewissensfragen zu streiten. 2 Einer glaubt, alles essen zu dürfen; wer aber schwach ist, der isst Gemüse. 3 Wer isst, verachte den nicht, der nicht isst; und wer nicht isst, richte den nicht, der isst; denn Gott hat ihn angenommen. 4 Wer bist du, dass du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn. Er wird aber aufrecht gehalten werden; denn Gott vermag ihn aufrecht zu halten. 5 Dieser hält einen Tag höher als den anderen, jener hält alle Tage gleich; jeder sei seiner Meinung gewiss! 6 Wer auf den Tag achtet, der achtet darauf für den Herrn, und wer nicht auf den Tag achtet, der achtet nicht darauf für den Herrn. Wer isst, der isst für den Herrn, denn er dankt Gott; und wer nicht isst, der enthält sich der Speise für den Herrn und dankt Gott auch.
Römer 14,1-8 (SCH2000)
Für die Definition greife ich auf die Predigten von Maryn Lloyd-Jones zurück. Dort definiert er die „Gewissensfragen“ so:
Aber es sind immer noch Probleme, die die Christen beunruhigen, Probleme, die uns beunruhigen, und vor allem sind es Probleme, die uns entzweien. Er greift sie natürlich auf, weil sie in der Kirche in Rom tatsächlich Schwierigkeiten verursachten, aber wir wissen, dass sie durch die Jahrhunderte hindurch bis in die heutige Zeit Schwierigkeiten verursacht haben.
Worin bestehen nun diese Probleme? Nun, Paulus befasst sich hier in erster Linie mit dem, was man als „Gewissensfragen“ bezeichnet hat. Das ist ein sehr wichtiges Thema. Es gibt Fragen im Zusammenhang mit dem christlichen Leben, die absolut wichtig sind. Es gibt aber auch andere Fragen, die zwar wichtig, aber nicht wesentlich sind, und es ist denkbar, dass Christen in diesen Fragen unterschiedliche Auffassungen vertreten, wie wir noch sehen werden. Deshalb werden diese Fragen im Allgemeinen als „Belanglosigkeiten“ bezeichnet. Die Fragen, die der Apostel im Besonderen aufgreift, sind die des Essens und Trinkens und die Frage der Festlegung bestimmter Tage als „heilige Tage“.
(Lloyd-Jones, 2003, S. 3)
Ich möchte noch einmal betonen, dass wir uns unbedingt darüber im Klaren sein sollten, was mit „Gewissenfragen“ gemeint ist. Es geht dem Apostel darum, wie wir uns als gläubige Christen und als Mitglieder der Kirche zu Dingen verhalten, die im Neuen Testament nicht eindeutig verboten sind. Deshalb nennen wir diese Dinge „Gewissenfragen“. Wenn etwas verboten ist, dann gibt es keinen Grund, darüber zu diskutieren, dann gibt es keinen Streit. Wenn es verboten ist, ist es verboten; wenn es geboten ist, ist es geboten. Aber es gibt Dinge im Zusammenhang mit dem christlichen Leben, für die wir kein klares Gebot haben und für die es kein eindeutiges Verbot gibt. Und wie wir gesehen haben, führen sie, auch wenn sie gleichgültig sind, oft zu erheblichen Schwierigkeiten, wie es in der Gemeinde in Rom und auch in der Gemeinde in Korinth eindeutig der Fall war. Deshalb musste sich der Apostel mit diesen Dingen befassen, und deshalb dürfen auch wir sie nicht ignorieren. Sie sind zwar nicht heilsnotwendig, aber es ist wichtig, dass wir in diesen Fragen richtig und klar denken.
(Lloyd-Jones, 2003, S.19-20)
Also sind Gewissensfragen Angelegenheiten, bei denen wir kein klares Verbot oder Gebot in der Heiligen Schrift finden. Es sind neutrale Dinge oder eben Gewissensfragen. Da jeder aus einer bestimmten Prägung und Kultur kommt, führt das Verständnis über diese Dinge zu Schwierigkeiten unter den Christen.
Aber wie kann man erkennen, ob es Gewissensfragen sind oder nicht? Ich denke, dass wir das mit einem ehrlichen und aufrichtigen Herzen unterscheiden können. Weil wenn es nicht in der Schrift vorhanden ist, sollen wir es so akzeptieren. Wie man aber mit Gewissensfragen umgehen soll, wäre ein anderer Beitrag. Das würde diese Überlegungen hier übermäßig verlängern. Ich möchte daher nur wenige Punkte aufführen, wie man mit solchen „Gewissensfrage“ umgehen sollte :
- Gibt es ein klares Gebot oder Verbot in der Bibel zu diesem Thema?
- Ist das Thema kulturell oder situativ bedingt?
- Würde das Thema andere Christen in ihrem Glauben schwächen oder zu Streitigkeiten führen?
- Ist es für dich von nutzen?
- Dient es dazu, deine Begierden zu stillen?
- Hast du Zweifel daran?
- Welche Prinzipien und Lehren der Bibel können auf das Thema angewendet werden?
- Ist mein Handeln in diesem Bereich zur Ehre Gottes und im Einklang mit den Werten des christlichen Glaubens?
Indem wir uns diese Fragen stellen, können wir besser verstehen, ob es sich um eine Gewissensfrage handelt oder ob die Bibel klare Anweisungen dazu gibt.
Als Beispiel möchte ich einige Aussagen aufführen, bei denen wir bei manchen biblische Gebote haben, bei anderen nicht:
- Über seinen Nächsten Vermutungen weitersagen.
- In der Steuererklärung den größten Vorteil durch Unwahrheiten herausziehen.
- Bücher lesen, die vorwiegend pornografischen Inhalts sind.
- Sich als Christ keiner Gemeinde anschließen.
- Nicht arbeiten wollen.
- Als Mann einen Rock tragen.
- Als Frau eine Hose tragen.
- Als Mann die Haare bis zu den Schultern wachsen lassen.
- Musik hören, in der Schlagzeug verwendet wird.
Können wir für die oben genannten Themen direkte Verbote und Gebote aus der Bibel finden? Bei einigen schon. Einige werden sogar sagen, bei allen ließe sich etwas finden. Aber tatsächlich sind nur die Punkte 1 bis 5 als klare Gebote oder Verbote in der Bibel zu finden. Ab Punkt 6 wird es schwierig, das zu belegen.
Nehmen wir Punkt 6: Der Rock war seit Menschengedenken ein Kleidungsstück für Männer und Frauen. Er unterschied sich nur im Stoff oder Schnitt. Bis vor relativ kurzer Zeit war er im Abendland gesellschaftlich akzeptiert. Ganz zu schweigen von dem Rock (Kilt) der Schotten. Da unsere heutige Kultur den Rock jedoch als eindeutig für Frauen definiert, würde man dadurch sehr auffallen, auch wenn es an sich nicht falsch ist. Hier akzeptiert man als Christ die Kultur um einen herum und sagt, dass man im Abendland als Mann eher keinen Rock tragen würde. Anders sieht es in Sri Lanka, Japan oder anderen asiatischen Ländern aus.
Aber ein biblisches Gebot gibt es dazu nicht. Ich möchte behaupten, dass auch die Punkte 7 bis 9 solche Gewissensfragen sind. Ich werde jedoch in eigenen Beiträgen versuchen, diese Fragen einzeln zu beantworten.
Nun möchte ich wieder von den speziellen Fragen zum allgemeinen über Gewissensfragen und deren Umgang kommen.
Benedikt Peters schreibt in seinem Römerbrief Kommentar (hier zu finden, oder als PDF) in der Einleitung zum Kapitel 14 folgendes (von mir fett formatiert):
Hätte Paulus nun entweder verfügt, man müsse sich gewisser Speisen enthalten, oder man müsse alle Speisen für frei halten, hätte er eines der beiden Lager in Gewissensnot gedrängt. Zudem hätte er ein Gesetz aufgestellt, und das wäre ein Widerspruch zum Evangelium gewesen. Das Reich Gottes besteht nicht im Einhalten von Geboten, welche das äußerliche Wohlverhalten regieren, sondern in Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist (V. 17). (Peters, 2019, S. 420)
Also hier sagt er deutlich, dass Paulus Regeln hätte aufstellen können, es aber unterlassen hat, weil es nicht dem Evangelium der frohen Botschaft entspricht!
Auch Thomas Schirmacher schreibt zum Römerbrief und der „Gewissensfrage“ oder wie er es nennt „zweifelhafte Fragen“ folgendes:
Das Verbot, die Gemeindemitgliedschaft von der „Beurteilung zweifelhafter Fragen“ abhängig zu machen, erinnert uns daran, daß die Gemeinde klar zwischen eindeutigen Gebote Gottes und solchen Gebräuchen und Ordnungen unterscheiden muß, die zwar sinnvoll sein mögen, nie aber für alle verpflichtend gemacht werden können. Dies war eine der großen Entdeckungen der Reformation!
(Schirrmacher, 2001, S.272)
Natürlich wird ja argumentiert (siehe den Beitrag 10.2 und das Argument zu Römer 14), dass es nur Speisevorschriften sind und daher nichts Sündiges. Dort wird über Römer 14 geschrieben:
In Römer 14,2-3 geht es um jüdische Speisegebote und nicht um sündiges Götzenopferfleisch. Bestimmtes Maß an Unterschiede lässt Gott zu, „vorausgesetzt, dass diese nicht durch Vernachlässigung von oder Ungehorsam gegen eine biblische Wahrheit hervorgerufen werden. Auch geht es nicht um Unterschiede, die durch das Ignorieren von Gemeindebeschlüsse entstehen“ (Eben-Ezer, 2022, S.163)
Dabei ist es aber für denjenigen, der es bei dem anderen sieht, eine sündige Tat. Es ist nicht einfach so eine Vorliebe, dass ein Jude in dieser Zeit kein Schweinefleisch gegessen hat. Sondern er sah es tatsächlich als Sünde an. Und er verurteilte die Handlung des griechischen Christen als Sünde. Das war ja das Problem.
Wir als Europäer sehen es 2000 Jahre später nicht als so ein großes Problem an. Sprechen wir aber diese Brüder zum Thema Hosen der Frauen an, sind wir in derselben Situation. Sie sehen es als sündig oder weltlich, da es in ihren Augen einigen Prinzipien der Bibel widerspricht. Dabei ist das Verbot von Schweinefleisch viel klarer aus der Schrift belegbar, als das Verbot der Hosen der Frau.
Daher wird, anders als Bendikt Peters es definiert, es als Recht der Gemeinde gesehen, Regeln aufstellen zu dürfen. In der Dogmatik von Grudem schreibt Grudem recht deutlich über dieses „Recht“ (von mir fett formatiert):
Selbstverständlich können menschliche Gesellschaften wie Nationen, Kirchen, Familien usw. Regeln für die Abwicklung ihrer eigenen Angelegenheiten erstellen (wie: „Kinder in dieser Familie dürfen an Abenden während der Woche nicht fernsehen.“). Keine derartige Regel kann in der Bibel gefunden werden, und es ist auch nicht wahrscheinlich, dass solch eine Regel durch Implikation aus den Prinzipien der Bibel abgeleitet werden könnte. Dennoch wird der Gehorsam diesen Regeln gegenüber von Gott gefordert, weil die Schrift uns gebietet, uns den der Genug herrschenden Obrigkeiten zu unterwerfen (Röm 13,1-7; 1. Petr 2,13-3,6; u. a.). Eine Leugnung der Genugsamkeit der Schrift träte nur dann ein, wenn jemand versuchte, der Regel eine verallgemeinerte Anwendung außerhalb der Situation, innerhalb derer sie angemessenerweise funktionieren sollte, zu geben (,,kein Mitglied unserer Gemeinde sollte an Abenden während er Woche fernsehen“, oder „kein Christ sollte an Abenden während der Woche fernsehen“). In solch einem Fall ist es nicht zu einer Verhaltensregel in einer speziellen Situation geworden, sondern zu einem moralischen Gebot, das anscheinend für alle Christen, unabhängig von ihrer Situation, gelten soll. Wir haben nicht die Freiheit, solche Regeln zur Bibel hinzuzufügen und zu versuchen, sie allen Gläubigen aufzuerlegen, über die sich unser Einfluss erstreckt; auch die Kirche als Ganze kann nicht versuchen, dies zu tun. (Hier wären römische Katholiken wiederum nicht einverstanden und würden sagen, dass Gott der Kirche die Autorität gegeben habe, allen Mitgliedern der Kirche zusätzlich zur Schrift weitere moralische Regeln aufzuerlegen.) (Grudem, 2013, S.145)
Es geht hier nicht darum, dass kein heiliges Leben gelebt werden soll. Sondern darum, dass es in meinen Augen und auch laut vielen Kommentatoren der Gemeinde oder einzelnen Personen nicht zusteht, solche Verhaltensregeln zu erstellen.
Für mich ist es ein Verstoß gegen das Wort Gottes, wenn verpflichtende Verhaltensregeln aufgestellt und eingefordert werden.
Das ist wirklich nicht weit entfernt von den Begründungen der Pharisäer, die ihre Traditionen sicher mit einer guten Absicht erstellt haben.
Vor allem Römer 14 gibt uns dazu Aufschluss, wie mit unterschiedlichen Meinungen in der Gemeinde gehandelt werden soll. Nicht mit Regeln aufzustellen, sondern in Liebe miteinander umzugehen.
Was Grudem hier noch erwähnt, ist, dass das Barttragen in bestimmten Situationen gerechtfertigt sein kann. Im deutschen Kaiserreich wurde der Soldaten- oder Offiziersbart modern. Christen, die plötzlich anfingen, diese Art von Bart zu tragen, bezogen offen eine Position dazu. Aus diesem und weiteren Gründen, verboten die Amischen daraufhin den Schnurrbart. Selbst heute sieht man Amische Männer mit Vollbärten, jedoch ohne Schnurrbart.
In dieser Zeit war es vielleicht weise, Verbote und Regeln aufzustellen, denn es gab eine klare Begründung dafür. Als diese Modeerscheinung jedoch abflachte und verschiedene Bartstile populär wurden, bedeutete das Tragen eines Bartes keine Stellungnahme mehr zu einer bestimmten Strömung. 100 Jahre später war das Thema sozusagen vergessen. Heute verbindet in der Gesellschaft niemand mehr den Schnurrbart mit dem Militär.
Aber in den Gruppen, für die es ein Zeichen der Absonderung wurde – „Wir sind Amische und wollen nichts mit dem Militär zu tun haben“ – wurde dieses Merkmal Generation für Generation weitergegeben und als Kennzeichen der „Heiligkeit“ oder „Treue“ angesehen.
Solche Muster finden sich auch in anderen Verhaltensregeln oder Vorschriften. Diese waren nicht das Zeichen der Heiligkeit oder die Norm des christlichen Verhaltens, sondern situationsbedingte Notwendigkeiten. Dennoch wurden sie künstlich am Leben erhalten und als Kennzeichen weitergegeben. Sie wurden zur Identifikation einer Kultur und dann zur Identifikation des christlichen Standes.
Wenn wir nun in die Jahre kurz nach der Reformation gehen, so denkt man vielleicht, das diese Themen nicht so relevant waren. Aber an sich gibt es nichts neues unter der Sonne. Einer der umfassendsten Werke zur Theologie und Ethik findet sich bei Calvins Instutio. Dort schreibt er im dritten Buch unter dem 19. Kapitel unter dem Unterkapitel 7 (von mir fett formatiert):
Wir werden vor Gott in keinem der äußerlichen Dinge, die an sich „Mitteldinge“ sind, an irgendwelche heilige Scheu gebunden, sondern dürfen sie ohne Unterschied bald brauchen, bald auch beiseitelassen. Auch die Erkenntnis dieser (Art von) Freiheit ist für uns sehr nötig; denn wo sie fehlt, da werden unsere Gewissen nie zur Ruhe kommen, und der Aberglaube wird kein Ende finden.Wir kommen heutzutage sehr vielen Leuten albern vor, wenn wir darum streiten, daß uns der Fleischgenuß freisteht, daß wir gegenüber Feiertagen und Kleidern und anderen, wie unsere Gegner meinen, „bedeutungslosen Possen“ frei sind. Aber die Sache hat mehr Belang, als man gemeinhin glaubt. Denn sobald sich unser Gewissen einmal in diese Fesseln verstrickt hat, kommt es in ein langes und auswegloses Labyrinth hinein, aus dem sich nachher so leicht kein Ausgang mehr finden läßt. […]
Da ist es denn unvermeidlich, daß die einen vor Verzweiflung in einen Abgrund der Verwirrung hinuntergerissen werden, die anderen aber Gott verachten, seine Furcht von sich werfen und sich in ihrem Irrtum einen eigenen Weg machen, da sie keinen gebahnten vor sich sehen. Wer sich in solche Zweifel verwickelt hat, der mag sich wenden, wohin er will: er sieht überall einen unmittelbaren Anstoß für sein Gewissen!
(Calvin, 1997, Seite 553)
Hier schildert Calvin das Problem, dass unser Gewissen nie zur Ruhe kommen wird, solange auf falscher Weise mit diesen Fragen uimgegangen wird. Ein Bruder aus meiner Ursprungsgemeinde erzählte mir, dass er diese Gewissensfragen, wie beispielsweise die der Kleidung, bei seinem Beitritt zur Gemeinde ansprach. Die Antwort war, dass man sich, sobald diese Themen geklärt seien, der Mission und anderen Aufgaben widmen werde. Diese Themen sind jedoch seit über 15 Jahren nicht geklärt und werden es auch in den nächsten Jahren nicht sein, da sie künstlich aufrechterhalten werden. Es wurde zu einem „Stolperstein“. Die Mission wird dadurch unmöglich gemacht, da neue Menschen aus der deutschen Bevölkerung sich nur anschließen können, wenn sie die Kultur der Gemeinschaft annehmen. Es gibt kein paralleles Verständnis von Meinungen in der Gemeinde, wie es in Römer 14 gefordert wird.
Einige Menschen, die in dieser Gemeinschaft verletzt wurden, weil sie etwas in Frage stellten oder sich nicht anpassen konnten oder wollten, verlassen nicht nur die Gemeinde, sondern manchmal auch den Glauben. Ist das das Ziel der Gemeinde? Ganz sicher nicht.
Es ist vorausgesagt, dass Menschen die Gemeinde und den Glauben verlassen werden. Aber müssen wir unser Leben als Christen durch unnötige Gebote und Vorschriften noch schwerer machen?
Meiner Meinung nach ist die künstliche Aufrechterhaltung von situationsbedingten Regeln eine große Bürde für eine Gruppe. Nicht nur für das gemeinsame Leben in der Gesellschaft, sondern vor allem für das geistliche Leben eines Christen. Warum es so ist, will ich durch Kommentare von Martyn Lloyd-Jones im nächsten Beitrag belegen: #10.4 Darf eine Gemeinde Regeln erstellen? – Martyn Lloyd-Jones über verpflichtende Regeln in Kirchen
Ich freue mich, dass du bis hierher gekommen bist, und würde mich sehr darüber freuen, wenn dir meine Überlegungen etwas geholfen haben. Wenn du Fragen oder Einwände hast, kannst du die Kommentarfunktion nutzen, mich über die E-Mail anschreiben oder mich besuchen kommen. Die Adresse findest du im Impressum. Einen Kaffee und etwas zum Knabbern wirst du sicher erhalten.
Liebe Grüße
Simon
Quellen:
Bruderschaft der EvangeliumsChristen-Baptisten >>Eben-Ezer<< (2022). Ihm in allem wohlgefällig: Biblische Grundsätze eines für Gott abgesonderten Lebens
Grudem, W. A. (2013b). Biblische Dogmatik: eine Einführung in die systematische Theologie. (1.Auflage, 3.Druck) arche-medien
Blue, Ken (2011). Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch. Brunnen Verlag
Peters, B. (2019). Der Brief an die Römer. (1.Auflage) CLV-Verlag
Carson, D., Longman, T. and Garland, D. (2017) Matthew. Zondervan Academic. Available at: https://www.perlego.com/book/560682 (Accessed: 13 June 2024).
Jung, F. & Derksen, H. (2020). Angekommen?!: fünfzig Jahre freikirchliche Russlanddeutsche in Deutschland (1.Auflage 2020). Lichtzeichenverlag GmbH.
Wilkins Bob. What Could Peter Bind or Loose (Matthew 16:19)?.https://faithalone.org/blog/what-could-peter-bind-or-loose-matthew-1619/
Calvin, J. (1997). Unterricht in der christlichen Religion – Institutio Christianae Religionis (6. Aufl.). Neukirchener Verlag. https://www.calvin-institutio.de/display_page.php?elementId=61
Schirrmacher, T. (2001). Der Römerbrief: für Selbststudium und Gruppengespräch Band 2 (2. Aufl.). Revormatorischer Verlag Beese.